Crystal Houses
Amsterdam
Architekten: MVRDV // Projektumfang: 840 m² BGF // Fertigstellung: 2016 // Awards: Glas Innovation Award 2016, Dutch Design Public Award 2016, Façade Award 2016 (SFE), Building of the Year Award 2017 (Archdaily) - Commercial Architecture, Architizer A+Award 2017 - Mixed Use, Iconic Award 2017 - Best of the Best Architecture
In das Fassadenbild der Amsterdamer Innenstadt darf (zu Recht) nur minimal eingegriffen werden. Die Architekten MVRDV und Gietermans & van Dijk erhielten den Auftrag, eine neue Fassade für ein Ladengeschäft in der vornehmen P.C. Hooftstraat zu entwerfen. Der Auftritt musste zu den bekannten Modehäusern wie Prada, Chanel und Dior passen.
Der verantwortliche Architekt Winy Maas sagte dem Kunden: „Bringen wir das, was abgerissen wird, zurück, entwickeln wir es weiter!“ Das Ergebnis war weltweit einzigartig. Eine Fassade mit außergewöhnlichem Spezialeffekt, die gleichzeitig aber in der Verbindung von Tradition und Moderne fast schon poetisch anmutet.
MVRDV entwickelte eine Fassade aus Glasziegeln, die in ihrer Form der vorhandenen Fassade aus dem 19. Jahrhundert entsprach. ABT war an der außergewöhnlich anspruchsvollen technischen Umsetzung maßgeblich beteiligt. Allein den Hersteller für die exquisiten und stabilen Bauteile zu finden, die so noch gar nicht existierten, war eine Herausforderung. Die weltweite Suche nach einem geeigneten Hersteller endete bei der italienischen Firma Poësia, die vollkommen klare transparente Ziegel herstellen konnte. Wie aber verbindet man solche Glasbauziegel sauber zu einem Mauerwerk? Und wie lässt es sich realisieren, dass die Fassade nicht nur attraktiv, sondern auch in sich standsicher ist?
ABT erforschte mit großem Einsatz am Stevin Laboratory der TU Delft die bauphysikalischen und bautechnischen Aspekte der Glasfassade. Die Festigkeit und Steifigkeit des Glases wurden von der Glass Research Group der TU Delft getestet.
Das Ergebnis ist eine Glasfassade aus über 6.500 massiven Glasziegeln. Der Übergang zwischen Glas- und Mauerziegeln vollzieht sich – einem Puzzle ähnlich – im Bereich der Fensterstürze des Mezzaningeschosses. Nicht nur die Ziegel, sondern auch Rahmen und Türblätter sind aus Glas und tragen zu dem besonderen Look maßgeblich bei. Noch nie zuvor wurde eine selbsttragende Fassade aus massiven Glasziegeln realisiert.
Da das Primärtragwerk aus Stahlträgern besteht, übernimmt das gläserne Mauerwerk außer dem Eigengewicht keine weiteren Lasten. Allerdings muss es einwirkende Windbeanspruchungen sicher abgetragen können. Die dazu notwendige Stabilität gewährleisten innenseitig verzahnte Querwände.
Fenster- und Türstürze wurden als gemauerte Druckbögen ausgebildet. Der einzige nicht transluzente Teil der Fassade ist ein 60 cm hoher, hinter Glas verborgener Betonsockel, der die Standsicherheit bei einem starken Aufprall gewährleistet.
Mit 10 N /mm² sind die Steine viermal so belastbar wie der ursprüngliche Ziegel. Um eine maximale Transparenz zu erreichen, wurde eisenarmer Glassand aus Natrium-Kalk-Silikat verwendet.
Die 8,80 m hohe Fassade erforderte eine extrem präzise Passgenauigkeit. Jeder einzelne Glasblock wurde von Hand im Gussverfahren mit abgerundeten Ecken in einem Radius von 3 mm angefertigt. Von den insgesamt fünf Ziegelgrößen beträgt das am häufigsten vermauerte Format 210 x 105 x 65 mm. Bei der Herstellung durfte sowohl die Ebenheit/Planität der Oberflächen als auch die maximale Abmessungsabweichung in jeder Richtung ± 0,25 mm nicht überschreiten. Gleichzeitig mussten die Winkel genaue maßhaltig sein, um die Steine exakt orthogonal aneinander fügen zu können. Hierzu wurden ihre Oberflächen in einem aufwendigen Prozess maschinell und teilweise in Handarbeit geschliffen und poliert.
Um ungewollte Eigenspannungszustände durch die ungleichmäßige Abkühlung der heißen Glasschmelze aufgrund der massiven Ausbildung der Blöcke zu verhindern, wurden sie in einem kontrollierten Abkühlprozess (Feinkühlung) langsam heruntergekühlt. Auf der Baustelle wurden die Glassteine nicht mit einer mineralischen Mörtelschicht verbunden, sondern mit einem unter UV-Licht ausgehärteten transparenten Spezialklebstoff.
Einer der Hauptvorteile ist, dass das Material vollständig recycelbar ist. Während der Installation wurden einige unvollkommene Ziegel eingeschmolzen und neu geformt - tatsächlich könnte die gesamte Fassade in Zukunft wiederverwendet werden.
Leistungsbild: Tragwerksplanung, Fassaden Engineering, Glas Engineering, Materialentwicklung, Bauen im Bestand
Fotos: MVRDV